GIOVANNI GIACOMETTI (1868-1933)
GIOVANNI GIACOMETTI (1868-1933)

Die Mutter, um 1911

Details
GIOVANNI GIACOMETTI (1868-1933)
Die Mutter, um 1911
unten rechts monogrammiert 'GG', rückseitig signiert 'GIOV Giacometti'
Oel auf Leinwand
70 x 65 cm
Provenance
Galerie Neupert, Zürich
G. Heer, Arlesheim
Privatbesitz, Schweiz
Literature
Giovanni Giacometti, Registro dei quadri, IA, S. 101 Nr. 199
Richard Messlény, Cuno Amiet und Giovanni Giacometti, in: Ausstellungskatalog Galerie Neue Kunst Hans Goltz, Amiet und Giacometti, VI. Kollektiv-Ausstellung, München 1913, S. 7-8
Paul Müller/Viola Radlach, Giovanni Giacometti, Werkkatalog der Gemälde, Zürich 1997, Nr. 1911.03 mit Abbildung der Skizze aus: Giovanni Giacometti, Registro dei quadri, IA, S. 101 Nr. 199
Exhibited
Zürich, Kunsthaus, Moderner Bund, 7. Juli-31. Juli 1912, Nr. 39 (Die Mutter)
München, Galerie Neue Kunst Hans Goltz, Amiet und Giacometti, VI. Kollektiv-Ausstellung, 14. April-30. April 1913, Nr. 21 (Mutter mit Säugling)

Lot Essay

Das Werk Die Mutter entstand um 1911 und galt bis heute als verschollen. Giovanni Giacometti reihte es mit einer Skizze in sein eigenes Bildverzeichnis, dem Registro dei quadri, unter der Nr. 199 ein. Im Catalogue raisonné von Paul Müller und Viola Radlach ist zudem ein gleichlautendes Werk ohne Abbildung und weiteren Angaben zu Technik oder Format unter der Nr. 1911.03 vermerkt. Einzig zwei Ausstellungen sind dort festgehalten. So war es 1912 im Kunsthaus Zürich sowie 1913 in der Neuen Galerie in München. Unser Werk konnte erst aufgrund eines fragmentarisch erhaltenen Etiketts der Kunsthausausstellung 'Moderner Bund' von 1912 auf dem Keilrahmen eindeutig als das im Catalogue raisonné erwähnte identifiziert werden.
Zwischen 1908 und 1911 entstanden Vorstudien sowie im Motiv verwandte Bilder zu Die Mutter. Beim Säugling handelt es sich um Bruno, den im August 1908 geborenen jüngsten Sohn Giacomettis. Die Mutter und ihr Kind sitzen im Garten in Stampa (nach Angaben von Bruno Giacometti). In unserem museumsreifen Hauptwerk konzentriert sich Giacometti ganz auf die monumentale Darstellung der Frau mit ihrem Säugling an der linken Brust. Giacometti greift darin den speziellen Typus der Maria Lactans innerhalb der Mariendarstellungen auf. Er bettet jedoch die stillende Mutter ganz profan unter die schattenspendenden Zweige eines Apfelbaumes ein. Die glühende Aura, die die Figurengruppe umgibt, erreicht Giacometti durch Komplementärkontraste in der Farbgebung. Gegen rechts schliesst der Baumstamm die Komposition ab. 'Dann ist der Baum auch da um der ganzen Idylle eine glaubwürdige Wahrheit zu verleihen' schrieb Giacometti an Richard Bühler im Zusammenhang mit dem Gemälde Maternità von 1908, für das er 1909 in München die Goldmedaille erhielt und das unserem im Bildaufbau vorausgeht.
Die verschiedenartigen Formulierungen des Themas sind für Giacometti nicht nur Huldigung an die Mutterschaft, sondern darüber hinaus Sinnbild für 'das sich ewig erneuernde Leben'. So schreibt er in einem Brief an den Textilindustriellen Richard Bühler, einem Sammler und Mäzen aus Winterthur, am 18. Februar 1910: 'Dieser Tage habe ich ein neues Bild für Budapest vollendet. Eine junge Mutter mit einem säugenden Kind. Ich meine, es gibt kein anderes Moment im Leben, wo das sich ewig erneuernde Leben so offenbart wie wenn man ein Kind an der Brust seiner Mutter hängen sieht. Da muss man an das Leben und an seine Güte glauben. Das Bild ist in den reichsten, wärmsten Farben gehalten, denn wo ist das Leben reicher, und wo ist die Liebe grösser als da? Und die Kunst ist im Grunde ein Erzeugnis der Liebe und des Sonnenlichtes.'
Unser Werk ist ein Höhepunkt und die Zusammenfassung der intensiven Auseinandersetzung Giacomettis mit den Gemälden Vincent van Goghs, Paul Cézannes und Ferdinand Hodlers. Diese mündet in breite Striche und einem Netz leuchtender Farbflecken, die sich zu Flächen verdichten, während der Oberkörper der Mutter cloisonnistisch dunkel umrandet wiedergegeben ist.

The work Die Mutter was painted circa 1911 and was hitherto thought to have disappeared. Giovanni Giacometti listed it alongside a sketch in his own catalogue of works, the Registro dei quadri, as Number 199. Furthermore, in the catalogue raisonné by Paul Müller and Viola Radlach an identical work, with neither illustration nor information on the technique or format, is recorded as Number 1911.03. Only two exhibitions are recorded there. The work was on view in 1912 at the Zurich Kunsthaus and in 1913 at the Neue Galerie in Munich, together with works by Cuno Amiet. The present work was only identified unequivocally as the one mentioned in the catalogue raisonné on the basis of a fragment on the stretcher of a label from the Kunsthaus exhibition 'Moderner Bund' of 1912.
Between 1908 and 1911 preparatory studies as well as motifs relating to Die Mutter were produced. The infant is Bruno, Giacometti's youngest son, who was born in August 1908. Mother and child are seated in the garden in Stampa (according to Bruno Giacometti). In this museum-quality major work Giacometti concentrates fully on the monumental depiction of the woman with her infant at her left breast. Giacometti has taken up the particular motif of Maria Lactans within the tradition of depictions of the Madonna. Yet he creates a fully secular setting for the nursing mother in the shade of the branches of an apple tree. The glowing aura which surrounds the figure group is achieved by Giacometti through the use of contrasting complementary colours. To the right, the tree trunk completes the composition. 'Dann ist der Baum auch da um der ganzen Idylle eine glaubwürdige Wahrheit zu verleihen' wrote Giacometti to Richard Bühler in relation to the painting Maternità from 1908 (he received for the painting the goldmedal in Munich in 1909), which anticipates the format of the present picture.
The various formulations of this theme are for Giacometti not only a homage to motherhood: over and above they are symbols of life in constant renewal ('das sich ewig erneuernde Leben'. Letter to Richard Bühler from 18 February 1910) The present work is the high point and culmination of Giacometti's intense examination of the paintings of Vincent van Gogh, Paul Cézanne and Ferdinand Hodler. This emerges in broad strokes and a mesh of bright flecks of colour which condense to form planes, while the mother's upper body is presented with a dark outline.

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